Hast du das schon erlebt? Du führst mit jemandem ein Gespräch, der dir das Gefühl gibt, dass du in diesem Moment die einzige Person auf Erden bist. Ein unbeschreibliches Erlebnis! Ich durfte das mit Gehörlosen erfahren.
In meiner beruflichen wie ehrenamtlichen Laufbahn war ich mehrmals in Kontakt mit Gehörlosen. Der Austausch und die Zusammenarbeit haben mich stark geprägt.
Die erste Begegnung geht auf das Jahr 2005 zurück. Als Initiator leitete ich das Projekt das es schwerhörigen, gehörlosen oder sprachbehinderten Personen ermöglicht, im Notfall, Hilfe per SMS bei der nationalen Notrufzentrale 112 anzufragen. Nach mehreren Treffen mit den Verantwortlichen der Vereinigung für Gehörlose und Schwerhörige in Luxemburg (www.daaflux.net) waren alle Hürden überwunden. Das System startete 2006 mit einer Präsentation, Erklärungen und Tests vor vollem Saal. Es war ein Abend, an den ich mich gerne zurückerinnere.
Das zweite Zusammentreffen fand im Rahmen von EU-Projekten statt an denen ich ehrenamtlich als Leiter des Kriseninterventionsteams GSP (Groupe de Support Psychologique ) teilnahm. Hier findest du die Links zu den Projekten: http://eunad-info.eu/home.html und http://eunad-info.eu/eunad-ip.html. Es handelt sich um ein europäisches Netzwerk für psychosoziales Krisenmanagement und Unterstützung von visuell- und hörgeschädigten Menschen, sowie von Behinderten im Falle einer Katastrophe.
In den Treffen, den Sitzungen und vorwiegend während den Trainings in der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz in Bad Neuenahr-Ahrweiler fiel mir hauptsächlich bei den hörgeschädigten Personen die positive Atmosphäre, die Aufmerksamkeit und Akzeptanz gegenüber anderen auf. Diese Erkenntnisse beschäftigten mich über das Projekt hinaus. Je länger ich mich damit abgab, desto bewusster wurde mir, dass wir alle sehr viel von Gehörlosen für unsere eigene Kommunikation hinzulernen können. Ich habe hier 8 Lektionen aufgelistet, die mir wichtig erscheinen:
1. Sorge für Augenkontakt
Wie oft lassen wir uns während eines Gespräches ablenken? Oder schauen auf unser Handy? Wie oft begleiten unsere Augen eine vorbeigehende Person? Wie oft blicken wir auf einen Fernseher, eine Uhr oder eine andere Ablenkung?
Wenn du mit einem Gehörlosen kommunizierst und dabei deinen Blick abwendest, ist die Kommunikation unterbrochen. Um zu verstehen, was diese Person dir vermitteln will, musst du ihr ins Gesicht schauen.
Es ist eine schwierige Übung im Alltag, zu zeigen, dass du präsent bist. Du musst dich voll auf dein Gegenüber konzentrieren und eine enge Kommunikationsverbindung aufbauen. Dies führt uns direkt zur zweiten Lektion.
2. Respekt
Beobachte einmal ein Gespräch von sechs bis acht Leuten an einem Tisch. Jemand hat das Wort ergriffen, die andern schauen auf, hören zu. Einer ist nicht einverstanden und unterbricht. In der Zwischenzeit haben zwei Nachbarn ein eigenes Thema gefunden, das interessanter für sie ist. Aus der Sicht von Gehörlosen ein klares „No go“.
Die Gehörlosen üben ein strenges „Gesprächsprotokoll“ aus: es ist immer nur eine Person nach der anderen, die gebärdet. In dieser Runde ist es unmöglich, dass mehr als eine Person gleichzeitig kommuniziert. Dem mitteilenden wird Respekt gezollt.
Ich war überzeugt diese Art der Kommunikation ist langwierig. Bei genauerem Hinsehen wurde mir klar, diese Methode ist äußerst effizient. Es gibt so gut wie keine Missverständnisse. Hier werden schneller Übereinstimmungen erzielt, als bei lärmenden, übergreifenden Diskussionen.
Mein Tipp: Versuch diese Methode bei deiner nächsten Besprechung anzuwenden. Lass die andere Person ausreden. Zähle für dich bis drei, antworte erst dann. Du wirst langfristig herausfinden, langsamer bringt dich schneller an dein Ziel.
3. Kurz, knapp und verständlich
Ich bewundere diese Fähigkeit bei Gehörlosen besonders. Sie sind direkt. Wie oft drückst du deine Gedanken, Wünsche oder Bedürfnisse klar aus ohne Ausschweifungen, Schachtelsätze und akademisches Vokabular? Und das nur, damit es besser klingt.
In der Zeichensprache existiert für jedes Wort ein eigenes Zeichen. Stell dir diese gewaltige Menge an Informationen vor, die es sich da einzuprägen gilt. Daher ist die Ausübung der Zeichensprache so ausgelegt, dass du dich genau und mit so wenig wie nötigen Wörtern ausdrücken kannst.
Hier haben wir noch ein hohes Lernbedürfnis. Wenn wir nämlich versuchen „einfach“ zu sprechen, werden wir ungenau. Wenn wir versuchen uns genau auszudrücken, werden wir komplex.
4. Frage! Frage! Frage!
Eine weitere Möglichkeit uns ein Beispiel zu nehmen. Probleme mit den Begriffen wie „ich weiß nicht“ oder „ich verstehe dich nicht“, haben die Gehörlosen nicht. Wenn sie etwas nicht begriffen haben, fragen sie.
Wir sind umgeben von permanenter Evolution. Jeder Tag bringt neue Begriffe, Techniken, Geräte. Für die braucht es neue Zeichen. Daher ist es möglich, dass nicht jeder auf dem letzten Stand der Zeichensprache ist. Da gibt es nur eine Lösung: fragen!
Wie oft saß ich in Besprechungen wo mit Abkürzungen oder Fachbegriffen jongliert wurde, die ich nicht alle verstand. Ich traute mich aber nicht zu fragen. Es hätte ja als Schwäche aufgefasst werden können.
Seit meinen Begegnungen mit Gehörlosen habe ich diese Mentalität von fragen, fragen, fragen für mich übernommen. Ich bin angenehm überrascht, wie viel zusätzliches Wissen ich mir durch das Anwenden dieser simplen Technik seither angeeignet habe.
5. Schotte dich ab von Ablenkungen
Wir leben in einer Lärmverschmutzten Umwelt. Die verschiedenen Töne aus unseren Geräten, aus den traditionellen Audio- und Videomedien, welche versuchen uns zu informieren, zu unterhalten oder zu schulen, überschwemmen uns permanent mit Lärm. Mit der Zeit haben wir uns an den erhöhten Geräuschpegel der uns umzingelt gewöhnt. Wir haben die Fähigkeit uns, auf das Wesentliche zu konzentrieren, fast vergessen. Daran sollten wir uns jedes Mal erinnern, wenn wir kommunizieren.
6.Sei ausdrucksstark und artikuliere
Beim reden haben wir viele Möglichkeiten unsere Sprache vielfältig einzusetzen: Tempo, Klang, Tonhöhe, Lautstärke. Alles Gelegenheiten um unsere Gefühle, unser Befinden, unsere Einstellungen auszudrücken.
Wie oft erlauben wir uns selber ausdrucksvoll zu sein? Es schickt sich nicht in unserer Gesellschaft laut zu lachen, unsere Stimme anzuheben, wenn wir aufgeregt sind oder jemanden anschreien.
Von Natur aus drücken sich die Gehörlosen deutlich aus. Ihr Gesichtsausdruck und die dazugehörende Gestik, gepaart mit Intensität und künstlerischem Talent, faszinieren mich immer wieder.
7. Weniger ist oft mehr
Die Erfindung von Mobilfunkgeräten und Smartphones ist ein Segen für Gehörlose. In den 90er Jahren wurde das Handy intensiv zur Kommunikation über SMS genutzt. Mit der Einführung von Smartphones und den an die speziellen Bedürfnisse der Gehörlosen angepassten Apps wurden neue Chancen geschaffen.
Was mich beeindruckt ist die Technikaffinität von Gehörlosen. Sie beherrschen ihre Geräte bis ins letzte Detail. Sie begrenzen sich ausschließlich auf die für sie relevanten Anwendungen. Wie viele Leute kennst du, die ein Smartphone von mehreren 100 € besitzen und nur 5 % der angeboten Möglichkeiten benutzen? Hier gilt für jeden von uns die Lektion: weniger ist mehr.
8. Beobachte und lerne
Bedenke wie viele kleine wichtige Details in Verbindung mit anderen Leuten wir über den Tag versäumen. Gehörlose sind viel aufmerksamer für das, was um sie herum passiert. Aus diesem Verhalten erlernst du, wie damals als Baby, Kleinigkeiten wahrzunehmen, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu erleben. Was noch wichtiger ist, du lernst es zu schätzen.
Fazit
Achte mehr auf die Körpersprache deiner Mitmenschen. Mach es wie die Gehörlosen; lerne mit deinen Augen zu hören.
Schon Leonardo Da Vinci sagte:“ Wenn du besser sehen willst, lerne von den Gehörlosen“.
Daher hier noch ein Tipp von mir: Wenn sich in deiner ehrenamtlichen Organisation Gehörlose melden sollten, um aktiv bei euch zu mitzuarbeiten, überlege nicht lange: sage ja. Es wird nicht leicht werden diesen Schritt deinem Team zu erklären. Du musst dich auf Widerspruch gefasst machen. Dir ist aber bewusst, dass das Ehrenamt uns seit jeher lehrt, sich mit Neuem, Anderem auseinander zu setzen, uns an neue Gegebenheiten anzupassen. Meiner Überzeugung nach wird diese Zusammenarbeit euer Team mit Sicherheit bereichern.
Mich würde es freuen, wenn meine Überlegungen zur Kommunikation dein Interesse geweckt haben. Ich freue mich auf die Kommunikation mit dir. Schreibe mir deine Erfahrungen, Bedenken oder Ideen als Kommentar.
Foto von Marco Strauss (Flickr.com)