COVID-19: Parallelen bei Familien im Lockdown und dem Ehrenamt
Ich hoffe, dieser Artikel erreicht dich und deine Familie bei bester Gesundheit. Geht es dir genauso wie mir? Ich habe die Worte Pandemie, Krise, Ausgangsbeschränkung, Rezession noch nie so oft gehört wie in den vergangenen Wochen. Die Abläufe unseres Lebens haben sich mit COVID-19 in letzter Zeit doch sehr verändert.
Schulen wurden geschlossen, genauso wie Kinos und Theater. Konzerte und Sportveranstaltungen wurden abgesagt. Betriebe und Verwaltungen erlauben ihren Mitarbeitern, von zu Hause zu arbeiten, sehr viele Geschäfte mussten auf unbestimmte Zeit schließen, genauso wie Cafés und Restaurants. Alters- und Pflegeheime dürfen keine Besucher mehr einlassen, ihre Bewohner leben eingeschlossen. An den Börsen gibt es lange Gesichter, die Medien liefern Horrormeldungen am Fließband und Politiker sprechen von Krieg.
Die Digitalisierung breitet sich überfallartig aus. Videokonferenzen wohin man schaut. Bisher nicht gekannte Möglichkeiten der Kommunikation, gekoppelt mit Fantasie und Initiative, erlauben in dem noch verbleibenden Freiraum neue Alternativen des Austauschs.
Mit der Familie telefonieren wie früher
Derweil erwische ich mich dabei auf Kommunikationstechniken des vergangenen Jahrtausends zurückzugreifen. Ja ich benutze wieder das normale Festnetztelefon, um gemütlich zu telefonieren. Ich frage bei meinen Kindern, Verwandten, Freunden und Kollegen nach deren Befinden. Wir tauschen uns aus, über unser eingeschränkteres – für viele eingeengteres – Leben, unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Mit den Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen machen alle neue Erfahrungen, besonders aber diejenigen, die auf engstem Raum zusammenleben. Wir lernen, uns anzupassen, und versuchen uns gegenseitig Hoffnung auszusprechen. Mir fiel vor allem die Wichtigkeit der Kommunikation, in welcher Form auch immer, in dieser außergewöhnlichen Lage besonders auf.
Bei diesen doch sehr vielen Gesprächen ist mir aufgefallen, dass der Umgang mit einigen der auferlegten Lebensformen in den Familien, Parallelen zum Ehrenamt aufzeigen. In diesem Artikel lege ich dir dar, wie wichtig es ist, gut organisiert zu sein, zu planen, zu delegieren, Zeit für sich selbst freizuhalten und schließlich Aktivitäten zum Nutzen aller zu betreiben, sowohl in der Familie als auch in deiner Freiwilligenstruktur.
Die Organisation einer Mehrkindfamilie ist vergleichbar mit der einer Mini-Organisation aus dem Ehrenamt. Es gibt in beiden Strukturen eine Führungskraft, die „Mitarbeiter“, die gesetzten und zu erreichenden Ziele, ein Budget, das einzuhalten ist, zu überwindende Hindernisse, täglich neue Herausforderungen…
In der Familie ist es im Allgemeinen die Mutter, welche die Leaderrolle übernimmt, Sie verwaltet einen großen Teil der täglichen Arbeiten dieses Mini-Betriebs (an alle Väter: natürlich gibt es Ausnahmen. Ich war zeitweise allein erziehender Vater und kenne somit auch diese Seite der Familiengestaltung). Und wie bei jeder gut funktionierenden Struktur ist ein Minimum an Organisation erforderlich.
Organisation in der Familie vergleichbar mit der im Ehrenamt
Zu Beginn ist es sehr wichtig zu wissen, was wir wollen und wohin das uns führt. Einige Leute verwenden dafür „To-Do-Listen“, indem sie die tagsüber auszuführenden Aufgaben auf einem Blatt auflisten. Andere planen die ganze Woche, indem sie die durchzuführenden Maßnahmen auf eine Tagesordnung schreiben. Wieder andere tun nichts und werden von den Aufgaben überrascht, ohne zu unterscheiden, was wichtig ist und was nicht. Es ist diese letzte Kategorie, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommt und die ihnen gebotenen Chancen verfehlen.
Ohne ein klares Ziel, wohin wir wollen, gibt es keine Chance, es zu erreichen. Eine der Möglichkeiten, um zum Erfolg zu gelangen ist die, ein Programm auszuarbeiten, wobei du die Kinder/Freiwilligen mit einbeziehst. Setzt euch alle mit einem Blatt Papier zusammen und hör auf die Wünsche von jedem.
Gemeinsam geht ihr alle täglichen anstehenden Aktivitäten durch, ohne „militärische Methoden“ anzuwenden. Das gilt für die Familie genauso wie für das Ehrenamt.
Das Planen der Mahlzeiten
Ich gehe hier auf die Mahlzeiten ein. Ich habe in meinen Gesprächen herausgefunden, dass diese einen besonderen Status in der COVID-19-Zeit einnehmen. Auch hier ist die Planung im Vorfeld sehr wichtig. Das Organisieren von Mahlzeiten spart Zeit für die Mutter. Ich weiß, es gibt mittlerweile auch Väter, die kochen (können).
Wichtig ist es, dass sich die Familie zusammen hinsetzt, alle nach ihrem Geschmack gefragt werden, genauso nach den Gerichten, die sie bevorzugen. Die Aufteilung der verschiedenen Mahlzeiten wird gemeinsam über die Woche aufgestellt. Dadurch können unangenehme Aussagen vermieden werden, wenn das Gericht aufgetischt wird.
Diese Essensplanung ermöglicht es, Nerven und Energie zu sparen, da die Essenszubereitung wirklich viel Zeit in Anspruch nimmt.
Die Planung von Projekten im Ehrenamt läuft im Idealfall ähnlich ab. Unter Einbeziehung von Freiwilligen, gemeinsam mit den Dienstanwendern, ist die Planungsphase unausweichlich und unentbehrlich, um den Entwurf zu einem gelungenen Abschluss zu führen. Weitere Informationen findest du in diesem Artikel.
Rituale schaffen
Ich empfehle, für morgens, nachmittags und abends Familien-Rituale einzuführen. Dies macht die Kleinkinder unabhängig und hilft den Älteren, einen gesunden Lebensstil zu führen. Begleite das Kind in den ersten Tagen der Umsetzung, damit sich die Gewohnheiten einprägen – genauso wie du es ihnen beim Zähneputzen gezeigt hast.
Beginne mit wichtigen Aufgaben, bevor du mit den Freizeitaktivitäten fortfährst. Hier ein Beispiel für ein Ritual am Morgen: Aufstehen, Waschen, Bett machen, Zimmer belüften, Frühstück.
Abendritual: Hausaufgaben durchsehen, gemeinsam ein Buch lesen (auch mit den älteren Kindern), Entwerfen oder Überarbeiten der Planung für den nächsten Tag, Tagebuch führen…
Du sagst mir, dies sind so logische Dinge, dass du sie nicht auf ein Blatt schreiben musst. Aber das Gegenteil ist der Fall, es handelt sich um einen „Vertrag“ mit den Kindern, insbesondere wenn sie diejenigen sind, die ihr eigenes Blatt erstellen und an die Wand ihres Zimmers hängen. Stärke jedes Familienmitglied bei allen täglichen Aktivitäten.
Rituale sind wichtig, sie geben Orientierung, fördern die Selbstständigkeit, setzen Regeln und Grenzen, schaffen Ordnung und Orientierung, geben Halt und Geborgenheit, reduzieren Ängste und sie helfen bei der Bewältigung von Krisen.
Ich erinnere mich an meine Zeit im Kriseninterventionsteam, wo wir bei neuen Freiwilligen, sehr intensiv Rituale im Zusammenhang mit Einsätzen geschult haben. Vor dem Bereitschaftsdienst das Mobiltelefon und den Pager aufladen, Einsatzkleidung bereitlegen. Bei der Alarmierung: vom Anruf bei der Einsatzzentrale bis nach der Rückkehr den Einsatzbericht schreiben, sind in einfachen Schritten erklärt. Mit der Zeit wurden die Aufzählungen in der Checkliste zur Gewohnheit für die Freiwilligen.
In anderen ehrenamtlichen Organisationen gibt es sicherlich ähnliche Rituale, die für reibungslose Abläufe sorgen.
Hausarbeit mit der Familie planen
Organisiere die Wohnungsreinigung so, dass alle gemeinsam zusammensitzen. Es ermöglicht allen Beteiligten Anfragen gerne und nicht als Befehl anzunehmen. Dadurch werden Konflikte vermieden. Sprich dabei sanft, überzeugend und höflich.
Schon in sehr jungen Jahren (3-4 Jahre) kann ein Kind viele Aufgaben ausführen, z. B. Spielzeug beiseite schaffen, Schuhe wegstellen, den Tisch decken oder abräumen. Zögere also nicht, alle mit einzubeziehen. Jeder hat sich jeden Tag und der Reihe nach an seine Aufgabe zu halten. Wenn alle sich daranhalten, läuft das reibungslos ab. Sollte das nicht der Fall sein, ist Gesprächsbedarf angesagt.
In freiwilligen Organisationen kennen wir diese Problematik ebenfalls. Es gibt Arbeiten und Aufgaben, deren Ausführungen keine sonderliche Begeisterung hervorrufen. Hier ist es wichtig, gemeinsam die anstehenden Tätigkeiten aufzulisten. Danach erfolgt eine einstimmige Verteilung, die schriftlich festgehalten wird.
Wage es, zu delegieren
Einer der häufigsten Fehler ist, dass wir glauben, dass niemand anders die Arbeit so gut machen wird wie wir selbst. Das führt sehr oft zu Überlastung. Zu akzeptieren, dass der andere anders ist als ich und dass er eine andere Art hat, Dinge zu tun, zeigt eine große Aufgeschlossenheit.
Darüber hinaus besteht die Rolle der Eltern darin, Kinder autonom und verantwortungsbewusst zu erziehen. Indem du es begleitest und ihm ein klares Ziel gibst, wird es lernen, wie es geht. Wenn es das erste Mal ist, dass es etwas tut, zögere nicht, ihm zu zeigen, wie du es machst, und erwarte nicht, dass es auf die ideale Weise getan wird. Mit Training, Ausdauer und mehrmaligen wiederholen wird es das erreichen.
Wenn dein Kind etwas schafft, lobe es für das, was es getan hat. Es ist ein wesentlicher erster Schritt, damit es nicht entmutigt wird. Dann kannst du ihm sagen, was es für das nächste Mal anders machen kann und sich so verbessern kann.
Lernen zu fragen – auch den Partner – und zu delegieren sind Fähigkeiten, die unbedingt angewendet werden müssen.
Ich mache dich darauf aufmerksam, dass du durch das Delegieren Zeit für dich selbst schaffst. Diese Zeit kannst du nutzen, um dich um Dinge zu kümmern, die dir gefallen und dich mit neuer Energie auftanken. Das Aufladen deiner Batterien und ein Moment mit dir selbst ist ein Ritual, das du jeden Tag durchführen sollst.
Das heikle Thema „Delegieren im Ehrenamt“ habe ich in meinem Newsletter beschrieben. Du findest den Link hier.
Filme, Brettspiele und künstlerisches Schaffen
Für die älteren Kinder sollte eine allgemeine Kulturbewertung durch klassische oder literarische Genrefilme angeboten werden. Bei den Jüngeren ist es wichtig, dass Unterhaltung und Mehrwert vermittelt werden. Da heute das Fernsehangebot während 24 Stunden am Tag zur Verfügung steht, sind im Vorfeld die jeweiligen Sehzeiten so festzulegen, dass sie an das Alter der Kinder angepasst sind. Auch hier ist es wichtig, gemeinsam festzulegen wer, wann, wie lange konsumiert.
COVID-19 bietet auch die Gelegenheit, Gesellschaftsspiele, Konstruktionsspiele und Pantomimenspiele wieder auf die Tagesordnung zubringen.
Zum Schluss bleibt die unumgängliche Malsitzung. Malen ist nicht nur eine Aktivität für die Kleinen, sondern auch für große Künstler.
Malen kommt an den Ort, an dem Worte nicht mehr sprechen können.
Gao Xingjan
Einen Streitpunkt gilt es heutzutage in der Familie zu berücksichtigen. Das ist die tägliche Benutzungsdauer von digitalen Endgeräten wie Smartphone, Tablet, Laptop, Datenbrille usw. Eine Familie mit vier Kindern, wo die Eltern Heimarbeit betreiben und drei Kinder Hausaufgaben am Rechner ausführen sollen, reichen zwei Rechner und ein W-LAN-Anschluss nicht aus, um allen Aufgaben gerecht zu werden.
Im Ehrenamt ist es ebenfalls wichtig, regelmäßig Aktivitäten anzubieten, die aus dem Rahmen der Mission der Organisation herausfallen. Darunter stelle ich mir vor, dass ein Sportverein eine Opernaufführung besucht, eine Feuerwehr in ein Kunstmuseum geht oder die Mitglieder eines ehrenamtlichen Tierpflegeheims ein Konzert genießen wollen – das alles leider aber erst nach COVID-19.
Entdecke dich neu
Abschließend diese Aktivität, die ziemlich einfach ist und gesunden Menschenverstand voraussetzt. Nimm dir genügend Zeit, um mit deiner Familie zu reden. Ihr werdet neue Beziehungen aufbauen. Lass die Mitglieder sprechen, höre ihnen zu, ohne zu versuchen, zu antworten. Vergleiche sie nicht. Sie haben das Recht, dir nicht zuzustimmen.
Ermuntere sie, über ihre Träume zu sprechen. Erzähl ihnen von deinen und warum du sie lebst. Beurteile sie nicht. Sei einfühlsam. Erzähle ihnen von früher, von deinen zukünftigen Vorhaben, gemeinsamen Projekten (Urlaub, Reisen…). Helfe ihnen durch diese Art von Diskussion, ihre emotionale und relationale Intelligenz zu entwickeln. Eine letzte Sache: Vergiss nicht, dass auch du ein Kind warst.
Im Ehrenamt ist Diskutieren mit den freiwilligen Mitarbeitern genauso wichtig. Tauscht euch aus, schmiedet gemeinsam Pläne, stellt Visionen auf. Es gibt so viele Themen, worüber man sich aktuell unterhalten kann und muss. Nutze diese Möglichkeit regelmäßig aus, unterstützt von den neuen, in dieser Pandemie wie Pilze aus dem Boden geschossenen, Austauschtechnologien.
Ich werde mit diesem schönen Zitat von Maria Montessori meine etwas ausschweifende Gedanken beenden:
Das Kind ist keine Vase, die gefüllt ist, sondern eine Quelle, die zum Fließen gebracht wird.
Maria Montessori
Vielen Dank, dass du diesen Artikel bis hierher gelesen hast. Wie läuft in deiner Familie oder in deinem Freiwilligenverein der COVID-19-Alltag im Moment ab? Schreib es mir in den Kommentar.
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